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Viel wird über die „Spaltung“ der Gesellschaft aufgrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie diskutiert. Dass es hier auch mal drunter und drüber geht, oder die Maßnahmen durchaus auch umstritten sein können, ist dabei nur ein Nebenaspekt. Das Spaltungs-Narrativ wird vor allem im Zusammenhang mit der Impfung und einer Impfpflicht bemüht. Klar ist, dass eine Impfung ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist. Impfungen sind somit auch mehr als ein einfaches Medikament. Dass sich Ungeimpfte hier unter Druck sehen, ist verständlich. Fakt ist aber, dass das nunmehr ein kleiner Teil der Bevölkerung ist. Die Spaltung ist eher eine Abspaltung einer Minderheit von der Mehrheitsgesellschaft. Und die Perspektive der Mehrheit kommt meines Erachtens zu kurz.
Von den über 18-jährigen sind über 81 Prozent geimpft (Quelle impfdashboard.de, 23.12.21). Studien zeigen, dass ca. 40 Prozent der bis jetzt Nicht-Geimpften, eine Impfung ablehnen (Quelle). Das sind 7-8 Prozent der über 18-Jährigen. Grundsätzlich ist die Gruppe der Impfverweigerer also relativ klein. Deshalb verspricht sich die Politik von mehr Druck, dass sich Ungeimpfte für eine Impfung entscheiden. Die Anreize sollen höher werden. Ob das klappt oder nicht, kann man auch hinterfragen.
Nun ist es nicht so, dass eine Abspaltung den Ungeimpften aufgezwungen würde. Sie steuern ihren Teil auch dazu bei.
Irrationaler Diskurs stößt ab
Kritisch zu denken ist Teil unseres Menschseins. Wir hinterfragen Dinge. Aber was Coronaleugner oder Impfgegner offensichtlich betreiben, ist eine selektive Wahrnehmung von Zahlen und Fakten. Alles, was der eigenen Argumentation nutzt, wird verwendet. Alles, was ihr widerspricht, wird relativiert oder als „fake“ umgedeutet. Coronatote? Die werden falsch gezählt. Zahl der Geimpften? Gefaket! Studien zur Wirksamkeit? Gefälscht. Empfehlung von Experten? Die sind gekauft. Die Unnachgiebigkeit, sich Argumenten zu öffnen, das Beharren auf der eigenen Sicht und die aktive Ablehnung und Denunziation von Argumenten, die in eine andere Richtung deuten, führt dazu, dass sich kein normaler Mensch mehr mit ihnen unterhalten will. Die Metapher des Schwurbel-Onkels auf der Familienweihnachtsfeier trifft es am besten. Die Konsequenz in den meisten Fällen: Man wendet sich ab.
Asoziales und egoistisches Verhalten
Ein Argument, weniger der Corona-Leugner und Impfverweigerer sondern der „Sorglosen“ oder „Trittbrettfahrern“, betrifft die unterschätzt Gefährlichkeit des Virus. Es sei doch nur eine Grippe und da würden wir ja auch kein „G’schiess drum“ machen. Für die eigene Gesundheit wird das Risiko als klein angesehen. Dass man das Virus ja weitergeben könne an jemanden, der oder die vielleicht ein größeres Risiko hat? Schulterzucken. Wäre dann halt so. Jede und jeder kennt eigentlich jemanden, der zu einer Risikogruppe gehört, und seien es nur die 70-jährigen Großeltern. Für jeden emphatischen Menschen wirkt das abstoßend.
Die Konsequenzen tragen wir alle
Bei bisherigen Impfdebatten konnte man sich darauf zurück ziehen, dass man selbst oder das eigene Kind ja geimpft sei. Masernerkrankungen von Ungeimpften treffen eben diese und nicht einen selbst. Deshalb konnte man da auch irgendwie darüber hinweg sehen. Genau das gleiche bei Homöopathie. Wenn du meinst, deine schwere Bronchitis geht mit Globuli weg, ist das dein eigenes Problem. Geschadet hat das der Gesellschaft bislang nicht. Mit der Pandemie sieht das aber anders aus. Auf einmal führt der Unwillen einer kleinen Gruppe dazu, dass Krankenhäuser überlastet sind. Notwendige Operationen und Behandlungen, beispielsweise bei Krebs, müssen verschoben werden oder fallen aus, weil eine intensivmedizinische Behandlung nicht gewährleistet werden kann. Aus der Eigengefährdung der Impfgegner wird eine Fremdgefährdung aller anderen.
Ich bemühe hier gerne das Bild des Sicherheitsgurts. Wenn du dich nicht anschnallst, ist das dein Problem. In der Pandemie-Situation ist das aber so, als wenn der Nicht-Angeschnallte auch den Gurt des Beifahrers durchschneidet.
Ich denke, viele Menschen spüren das geschilderte ähnlich. Wir werden Bekannte oder Verwandte, auch wenn die Pandemie einmal vorbei sein sollte, anders sehen. Wir werden das Egoistische, das Empathielose und das Irrationale nicht vergessen. Die Abwendung wird in vielen Fällen dauerhaft sein.
Zeit und Anlass, den Blog wieder zu reaktivieren. Wenn man sich schon damit befasst hat, warum nicht gleich was dazu schreiben.
Anlass ist der Artikel „Geimpfte können wahrscheinlich nie wieder volle Immunität erreichen“ auf theeuropean.de. Typisches click-baiting. Das „wahrscheinlich“ ist eher eine rechtliche Absicherung und wird sowieso nicht wahrgenommen. Botschaft ist: Als Geimpfter biste am Ar***.
Der Artikel behauptet, in ihrem Bericht “COVID-19 vaccine surveillance report” der Woche 42 räume „die britische ‚UK Health Security Agency‘ auf Seite 23ff. ein, dass ‚die N-Antikörperspiegel bei Personen, die sich nach zwei Impfdosen infizieren, niedriger zu sein scheinen‘. Desweiteren heißt es in der Studie, dass dieser Antikörperabfall im Grunde dauerhaft ist.“
Grundsätzlich gilt: Antikörper bauen sich in den meisten Fällen immer ab, egal ob durch eine natürliche Infektion oder durch Impfung. In der Interpretation dieses Berichts wird dann ein Alex Berenson herangezogen. Wer das ist, ist nicht klar. Kann jemand von dem Bericht sein? Also von dieser UK Health Security Agency? Keine Ahnung, klärt der Artikel an der Stelle und auch bis zum Ende nicht auf. Berenson wird zitiert mit: „Wir wissen, dass die Impfstoffe die Infektion oder die Übertragung des Virus nicht verhindern (tatsächlich zeigt der Bericht an anderer Stelle, dass geimpfte Erwachsene jetzt mit viel höheren Raten infiziert werden als nicht geimpfte Personen rechnen müssen.” Den Satz in Klammern musste ich mehrfach lesen und interpretiere ihn so: Der Bericht zeige, dass geimpfte Personen in höheren Raten infizieren würden als nicht-geimpfte Personen. Wenn man darüber nachdenkt ist das total kontraintuitiv. Man könnte sich ja noch vorstellen, dass sich eine geimpfte Person genauso schnell infizieren könnte, wie eine ungeimpfte Person. Aber eine höhere Infektionswahrscheinlichkeit bei Geimpften? Vielleicht meint der Satz auch, dass es einfach mehr geimpfte Infizierte gibt, als ungeimpfte. Ahh! Das typische Prävalenzproblem, wird hier und hier erklärt.
Tatsächlich zeigt der Bericht, dass die Infektionsrate bei geimpften Personen ab 30 Jahren wesentlich höher ist als bei Ungeimpften: „The rate of a positive COVID-19 test is substantially lower in vaccinated individuals compared to unvaccinated individuals up to the age of 29. In individuals aged greater than 30, the rate of a positive COVID-19 test is higher in vaccinated individuals compared to unvaccinated. This is likely to be due to a variety of reasons, including differences in the population of vaccinated and unvaccinated people as well as differences in testing patterns.“ (Seite 12) Über die genauen Gründe hierfür, mahnt der Bericht genauere Analysen an. Mein Gefühl sagt mir, dass Geimpfte unter Umständen weniger vorsichtig sind und sich somit wahrscheinlicher anstecken. Der gleiche Bericht zeigt aber auch auf, dass wesentlich mehr Ungeimpfte ins Krankenhaus müssen, als Geimpfte in Relation zu ihrem Verhältnis (Prävalenz!, Seiten 13/14).
Der the European-Artikel geht dann weiter: „Wie aus der Studie aus Großbritanien[sic!] hervorhebt, bedeutet dies, dass der Impfstoff die körpereigene Fähigkeit beeinträchtigt, nach der Infektion Antikörper nicht nur gegen das Spike-Protein, sondern auch gegen andere Teile des Virus zu produzieren. Das Schlimme an dem Bericht ist: Insbesondere geimpfte Menschen scheinen keine Antikörper gegen das Nukleokapsidprotein, die Hülle des Virus, zu produzieren zu können, die bei nicht geimpften Menschen ein entscheidender Teil der Reaktion sind.““
Das zweite Gänsefüßchen am Ende des Zitats ist kein Fehler, sondern Teil des Absatzes. Das zeigt, dass hier eigentlich mit einem Zitat gearbeitet werden sollte. Nur von wem ist das Zitat? Aber schauen wir erst auf den Inhalt. An keiner Stelle des Berichts steht genau dieser Satz. Die Studie sagt aber, dass Geimpfte im Wesentlichen nur Antikörper gegen das Spike-Protein entwickeln und nicht auch gegen das Nukleokapsidprotein. „Schlimm“ ist das nicht. Es ist sogar logisch, da die Impfstoffe nur das Spike-Protein in den Körper bringen und dieser auch nur ein Antikörper gegen dieses bilden kann.
Der Artikel geht weiter und zitiert eine Stelle: „Im Bericht heißt es: ‚Die geschätzte Seropositivität für S-Antikörper bei Blutspendern ist wahrscheinlich höher als in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten wäre, was wahrscheinlich die Tatsache widerspiegelt, dass die Spender eher geimpft sind. Die Schätzungen der Seropositivität für N-Antikörper werden den Anteil der zuvor infizierten Bevölkerung unterschätzen, da Blutspender möglicherweise weniger wahrscheinlich einer natürlichen Infektion ausgesetzt sind als altersgleiche Personen in der Allgemeinbevölkerung, die N-Antikörperreaktion im Laufe der Zeit nachlässt und jüngste Beobachtungen aus Überwachungsdaten der UK Health Security Agency (UKHSA) zeigen, dass die N-Antikörperspiegel bei Personen, die sich nach zwei Impfdosen infizieren, offenbar niedriger sind.'“
Darauf schließt der Autor des Artikels: „Die Conclusio ist: Menschen, die sich jetzt impfen lassen, sind daher weitaus anfälliger für etwaige Mutationen des Spike-Proteins, selbst wenn sie sich bereits infiziert haben und wieder gesund geworden sind.“ Nein, das sagt der obige Abschnitt nicht aus. Der sagt nur, dass Blutspender eher geimpft sind und deshalb keine Rückschlüsse auf den Anteil der Bevölkerung möglich sind, die sich mit dem Virus infiziert und so Antikörper gegen das Nukleokapsidprotein gebildet haben. Das Abschnitt sagt zwar auch, dass nach der zweiten Impfdosis der Antikörperspiegel gegen das Nukleokapsidprotein niedriger zu sein scheint- aber eben nach der zweiten Dosis, nicht nach einer Infektion trotz Impfung. Dieser Fall wird hier gar nicht untersucht. Die „Conclusio“ des Autors schließt etwas aus der Studie, was gar nicht untersucht wurde.
Der Artikel fährt fort mit der Behauptung, nur infizierte Menschen könnten eine permanente Immunität gegen alle Stämme (=Mutationen) des Virus aufbauen. Und am Ende zitiert er wieder Herrn Berenson: „Und es ist wahrscheinlich ein weiterer Beweis dafür, dass die Impfstoffe die Entwicklung einer robusten Langzeitimmunität nach der Infektion beeinträchtigen können.“
Das sagt der Bericht überhaupt nicht. Der Bericht stellt sogar fest, dass sowohl die Impfung nach einer Infektion, als auch ein Impfdurchbruch das Antikörper-Niveau erhöhen (Seite 23): „both vaccination post infection and breakthrough infection following vaccination are expected to boost existing antibody levels.“
Der Artikel hat insofern einen wahren Kern, als dass die Impfung im Wesentlichen nur eine Immunantwort auf das Spike-Protein ermöglicht, aber eben nicht gegen das restliche Virus. (Mehr hier) Das heißt aber nicht, dass ein geimpfter Körper, der dann doch eine Infektion durchmacht, diese Immunantwort auf das restliche Virus nicht erlangen würde.
Wer ist jetzt eigentlich dieser Berenson?
Am Ende des Artikels verlinkt the European dann auf einen Artikel. Dieser Artikel steht auf www . bigpharmanews . com. Aha, da weht der Wind her. Der Autor hat im Wesentlichen diesen Artikel abgeschrieben. Dies ist auch an dem zusätzlichen “ zu sehen, das vom Copy-Paste aus dem Original-Artikel übrig geblieben ist. Ist dort der 4. Absatz. Was in dem the European Artikel als Statement aus dem Bericht daherkommt, ist ein Zitat dieses Herr Berenson. Netterweise ist hier dann auch auf einen Beitrag dieses Herren verlinkt, in dem die ganze Misinterpretation dieses Berichts herkommt. Dankenswerter Weise steht zu diesem Herren auch was auf Wikipedia – Er ist ein einfacher Impfgegner. Er hat nichts mit dem Bericht zu tun. Er ist keiner der Autoren und auch kein ausgewiesener Experte.
Von the European hatte ich eigentlich bisher ein besseres Bild. Scheint sich aber in eine ungute Richtung zu entwickeln (siehe Wikipedia, Stichwort Klimawandelleugnung). Journalistisch ist der Artikel zudem unterste Schublade.
Das Netzwerk Bürgerbeteiligung hat kürzlich einen Artikel von meinem Kollegen Hannes Wezel und mir zum Thema veröffentlicht. Wir erläutern dabei am Suchlauf für ein neues Gefängnis im südlichen Württemberg, wie sich Bürgerbeteiligungsmethoden mit Bürgerbegehren und -entscheid kombinieren lassen (Link zu Kurzbeschreibung und PDF).
Mehr Demokratie e.V. hat heute (11.11.2017) auf seiner Bundesmitgliederversammlung in Kassel ein Positionspapier mit dem Titel „Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung verbinden“ beschlossen.
Nachdem der AK Bürgerbeteiligung im letzten Frühjahr das Papier final beschlossen hatte, konnte das Papier erst jetzt in die Mitgliederversammlung, da wir die Antragsfrist für die letzte nicht einhalten konnten.
Die finale Version, die auch fertig gelayoutet sein wird, verlinke ich, sobald sie verfügbar ist. Zwischenzeitlich lade ich hier noch meine Präsentation von heute eingestellt (PDF-Präsentation).
Update 30.11.: Das Papier gibt’s auf der Webseite von Mehr Demokratie e.V. als PDF.